J. Bahlcke u.a. (Hrsg.): Wallensteinbilder im Widerstreit

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Titel
Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert


Herausgeber
Bahlcke, Joachim; Christoph, Kampmann
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
406 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Philipp Müller

Albrecht von Wallenstein ist zumeist von seinem gewaltsamen Ende her interpretiert und darüber in eine Cause célèbre der europäischen Geschichte verwandelt worden. Die Ermordung des ehemaligen Heerführers der kaiserlichen Armee im Februar 1634 hat aus dem böhmischen Adligen Waldstein den «Fall Wallenstein» gemacht und die verschiedenen Medien der Geschichtskultur über drei Jahrhunderte lang nachhaltig beschäftigt. Wallenstein als Geschichtsbild ist keineswegs Produkt allein wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, sondern in zumindest gleichem Mass das Ergebnis populärer und fiktionaler Darstellungen. Der aus einer Tagung im Schiller-Gedenkjahr 2009 hervorgegangene Band von Joachim Bahlke und Christoph Kampmann stellt geschichtswissenschaftliche, literaturwissenschaftliche und kunsthistorische Beiträge nebeneinander, um die Perspektive auf die Legende Wallenstein und ihre Konstruktion interdisziplinär zu erweitern. Wie Johannes Süssmann in seinem Beitrag zur erzählenden Wallenstein-Literatur des 19. und 20. Jahrhundert deutlich macht, bedeutet eine solche Bezugnahme nicht, die Unterschiede fiktionaler und realitätsbezogener Texte zu ignorieren. Beide Formen können jedoch gleichermassen zur Erzeugung von Geschichtsbildern beitragen und geben im Fall von Wallenstein zugleich Aufschluss über Verlaufsvorstellungen zur europäischen Geschichte. Noch in einer weiteren Hinsicht will der Band den traditionellen Rahmen der Forschung erweitern, denn er konzentriert sich nicht ausschliesslich auf die unter deutschsprachigen Autoren vielfach gewendete Frage, ob Wallensteins Tod auch das Ende für die Hoffnungen auf einen deutschen Zentralstaat und einen europäischen Frieden bedeutete. So zeigt Joachim Bahlke, wie der tschechische Historiker Josef Pekař schon Ende des 19. Jahrhunderts Wallensteins Handeln aus seiner Herkunft im böhmischen Adel und den Interessen seiner sozialen Schicht ganz ohne uneigennützige Ziele erklärt hat. Einige der Beiträge vergeben allerdings die Chancen, die die Anlage des Bandes ihnen geboten hätte. Hans-Christof Kraus besteht auf der erfolgreichen Form, mit der Golo Manns Wallensteinbiographie Faktentreue mit «kunst- und anspruchsvoller sprachlicher» Darstellung, mit «meisterlichen, auch stilistisch pointierten» Schilderungen verbinde. Man erfährt jedoch nicht, was eine solche Form analytisch bedeutet und von den Erzählmitteln der sozialhistorischen Gegner Golo Manns unterscheidet, gegen deren Vorwürfe Kraus seinen Protagonisten verteidigt. Gerrit Walther verficht in seinem Artikel die interessante These, die historische Erzählung in Rankes Wallenstein- Biographie sei unmittelbar mit einer virtuosen Quellenkritik verbunden. Welche Auswirkungen es aber für historische Texte auf der Ebene der Darstellung hat, wenn Philologie systematisch in ihre Gestaltung einbezogen wird, bleibt eine offene Frage. Friedrich Schiller behandelte Wallenstein gleich zweimal – zunächst als Historiker und dann als Dramatiker – und steht insofern stellvertretend für den Versuch, wissenschaftliche und fiktionale Formen der Geschichtsdarstellung zueinander in Beziehung zu setzen. Die Beiträge von Holger Mannigel und Arnd Beise zeigen, dass die Ästhetik der Darstellung dabei nicht einfach Gefäss, sondern Konstitutionselement des Geschichtsbildes Wallenstein ist. Zwar folgte Schiller in der Geschichte des Dreissigjährigen Krieges laut Mannigel seinen Vorlagen und charakterisierte Wallenstein am Ende als Rebellen in Notwehr. Der narrative Progress der Geschichte folgt jedoch dem erzählerischen Prinzip, dass sein Sturz die ökonomisch-gerechte Wiederherstellung einer sittlichen Ordnung bedeutet. Beise erklärt, wie Schillers Ausbruch aus der Konzeption aufklärerischer Dramenhelden in der Wallenstein-Trilogie dazu führte, dass Wallenstein in der Folge für gegensätzliche inhaltliche Deutungen offenen stand. Die genannten wie auch die weiteren Beiträge des Bandes machen deutlich, dass manche geschichtlichen Sachverhalte nur aus der Verschränkung wissenschaftlicher, geschichtspolitischer und literarischer Dimensionen erklärbar werden und deshalb interdisziplinäre Kompetenzen der Analyse verlangen.

Zitierweise:
Philipp Müller: Rezension zu: Joachim Bahlcke/Christoph Kampmann (Hg.), Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 702-703.

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